Isochronic: Superschnell dank erster neuer Kinematik seit 1985
Die Schweiz kann als Hochlohn-Land bekanntlich nur mittels Innovationen auf höchstem Niveau bestehen. Dies gilt auch für die Robotik. Am Genfer See, einer auch für Schweizer Verhältnisse besonders teuren, aber auch schönen Region, hat sich ein kleines Robotik-Cluster etabliert. Zu diesem gehört das junge Industrieunternehmen Isochronic AG aus Denges/ VD. Etwas bekannter wurde es zuletzt als Finalist des Innovationspreises der Zürcher Kantonalbank (ZKB). Seinen ersten „internationalen“ Auftritt – und dort ist es mir aufgefallen – dürfte es auf dem Dresdner Robotic Festival 2021 gehabt haben. Dies als verdeckte Werbung für das Festival, da sich ein Besuch der Neuauflage im September 2022 sicherlich lohnen wird.
Umplatzieren ist eine Standardaufgabe der Robotik
«Pick and Place», also das Erfassen und Umplatzieren von Objekten, ist seit jeher eine Standardoperation von Industrierobotern in Umgebungen wie etwa der Lebensmittelproduktion, der Pharmaindustrie oder auch der Elektronik. Herkömmliche Roboter nehmen sich dabei ein Objekt nach dem anderen in serieller Reihenfolge vor. Die schnellsten Roboter sind heute die Delta Roboter.
Delta-Roboter sind zu langsam
Erfolgreich ist in der Regel, wer ein echtes Problem identifiziert. Isochronic hat die relative Langsamkeit der Delta Roboter als solches erkannt. Delta Roboter schaffen zwar bis zu 90-100 Picks/ Minute, aber was ist dies schon bei viel größeren Produktionsmengen. Heute werden dann mehrere Reihen mit Delta Robotern benötigt. Dies stellt logistisch eine Herausforderung dar. Schnell wachsende Unternehmen haben zudem ein permanentes Platzproblem.
Simultane Bewegungen anstelle der sequenziellen ist die Lösung
Die Lösung dieses Problems sieht Dr. Melvin Haas, deutscher Gründer mit RWTH-Hintergrund, in der (multiplen-) simultanen („isochronen“) Bewegung der relevanten Teile. Der Isochronic-Roboter hat nicht mehr nur einen Arm mit einem einzigen Pick-Kopf, sondern einen breiten Hauptträger auf dem mehrere Schienenpaare montiert sind. Auf diesen Schienen können dann mehrere Pick-Köpfe gleichzeitig aktiv sein und in entgegengesetzte Richtung fahren, ohne dass ein Kollisionsrisiko bestünde. Zudem ist der gesamte Hauptträger dank rotierender Aufhängungen auch horizontal drehbar. Diese beiden Innovationen ermöglichen es dem neuen Robotertyp, an zwei Punkten gleichzeitig aktiv zu sein. Bereits ein einzelner solcher isochroner Industrieroboter ist deutlich leistungsfähiger als herkömmliche Roboter. Und da bei den neuen Robotern lediglich geringe Massen in der Haupttransferrichtung bewegt werden müssen sind lediglich geringe Energie- und Betriebskosten zu erwarten. Die kompakte Größe der Systeme hilft zudem Platz sparen, sodass bestehende Werkhallen effizienter genutzt werden können
Laut Isochronic’s Gründer und Geschäftsführer Melvin Haas gab es seit der Erfindung der Delta Roboter 1985 keine neuen Industrieroboter-Kinematiken mehr. Dies hat wiederum zur Folge, dass alle verfügbaren Steuerungen ohne größere Anpassung nicht verwendbar waren. Denn heutige Standardsteuerungen können nicht Picks steuern, während woanders ein Place erfolgt. Dafür wurde die Steuerung erweitert. Aufgrund seiner persönlichen engen Verbindung zu Beckhoff entschloss sich Haas seit Beginn der Entwicklung auf Hardwarekomponenten der Westfalen zu setzen. Allein das Beispiel der bislang unveränderten Kinematiken zeigt, dass es sich jetzt schon um eine echte Innovation handelt.
Kein Roboter von der Stange
Es ist naheliegend, dass solch eine komplexe Anlage wie die von Isochronic nicht ausgepackt und unmittelbar eingesetzt werden kann wie so mancher Cobot. Es geht hier um Schweizer Präzision, wie sie u.a. aus der Uhrenindustrie bekannt ist. Daher betrachtet sich das Unternehmen mehr als Komponentenentwickler, d.h. man liefert an Systemintegratoren mit Interesse an neuen Technologien. Vor diesem Hintergrund ist man für Anfragen und Partnerschaften mit größeren OEM bzw. Integratoren, die selber über hohe technologische Kompetenz verfügen, offen
Perspektiven
Isochronic sammelt derzeit mit ersten Pilotkunden Erfahrungen und wird vielleicht auch weitere neue Wege bestreiten. Da die Funktionsweise der Kinematik nicht auf eine bestimmte Größe festgelegt ist besteht beispielsweise Flexibilität bezüglich der Antriebsart. Anstatt von Linearmotoren erscheint auch ein Riemenantrieb denkbar. Bis eine größere Anzahl an Kunden mit einem Standardprodukt bedient werden können, dürften noch 2-3 Jahre vergehen.
Interessant erscheint vor allem, dass durch die neue Kinematik völlig neue Maschinenkonzepte möglich werden. Heute sind Durchsatz und Distanz Gegensätze. Die fundamentale Regel wird durch das Parallelisierungskonzept ausgesetzt. Die später denkbaren Einsatzgebiete können über die heutige Zielgruppe „Verpackung“ weit hinausgehen. Interessant erscheint ein möglicher Einsatz in Recycling-Anlagen (die Kapazität der Bänder könnte bedeutend erhöht werden) oder gar die Entladung von Container-Schiffen. Neue, größere Kräne könnten gleich mehrere Container aufnehmen. Interessenten sollten sich die Präsentation der ersten Roboterzellen auf der AUTOMATICA nicht entgehen lassen!
automatica
Isochronic stellt aus auf der automatica: Stand 315 in Hall B5.
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Der Autor dieses Blogs ist maßgeblich am KI-/ Robotik-Projekt Opdra beteiligt. Er berät bei fast allen Fragen rund um Robotik incl Finanzierung/ Förderungen. Mehr zu seiner Person finden Sie hier.